Liebe Tanzfreundinnen und Tanzfreunde,
Hier in Findhorn haben wir gerade das 27. jährliche Festival von Sacred Dance, Musik, und Gesang genossen. Das nächste Jahr verspricht ein genauso schönes Festival, in dem Gastlehrerin Chrisandra Harris Kreistänze der Seidenstrasse unterrichtet, die sie selbst in Armenien, der Türkei, Griechenland und anderen Regionen der Welt erforscht hat. Ihr Hauptaugenmerk ist auf dem Kreistanz, und sie verschmilzt traditionellen Tanz und moderne Choreografie auf einzigartige und inspirierte Weise. Chrisandra ist zwar in Großbrittannien als Tanzlehrerin sehr bekannt, aber nicht viele Tanzfreunde in Deutschland kennen ihre Arbeit; daher habe ich sie gebeten, für die Leserinnen und Leser von Neue Kreise Ziehen etwas über ihre Reise mit armenischen Tänzen zu erzählen. Wir hoffen, viele von euch im nächsten Jahr in Findhorn im Festival zu sehen – es wird eine wahre Feier von Tanz und Fülle werden!
Mit Liebe und Segen im Tanz,
Laura Shannon
Meine armenische Tanzreise: Eine persönliche Geschichte
von Chrisandra Harris
Vor fast 30 Jahren war ich in einem Folkloretanzkurs, und wir lernten einen neuen Tanz. Die Bewegungen waren ungewöhnlich und der Tanz war aus Armenien, einem Ort, von dem ich noch nie gehört hatte. Die Musik begann, wir tanzten, und ich hatte mich verliebt! Das klingt vielleicht merkwürdig, aber die Wirkung war unmittelbar und dramatisch. Mir war jedoch nicht klar, wie sehr dieses Erlebnis mein Leben verändern würde.
Wieder zu Hause, begann ich, mehr über armenischen Tanz herauszufinden. Dies war in der Zeit vor dem Internet, und Information war rar und schwer zu finden. Innerhalb von wenigen Jahren hatte ich jedoch Shakeh Major Tchilingirian (damals Avanessian) in einem von Laura Shannons Tanzseminaren in London getroffen, wo sie eine wunderschöne Solovorstellung in armenischer Tracht gab. Ich nahm auch an Seminaren mit Tineke van Geel teil, einer niederländischen auf den armenischen Tanz spezialisierten Lehrerin, und Dalila Heath, einer in Großbrittannien lebenden Tänzerin mit armenischem Hintergrund, die mit der Zeit eine wunderbare Freundin geworden ist. Stück für Stück erwarb ich ein kleines Repertoire von armenischen Tänzen, die ich begeistert mit meiner Kreistanzgruppe zu Hause teilte.
Um armenischen Tanz zu verstehen, muss man etwas von der armenischen Geschichte verstehen. Armenien war früher ein riesiges Land, das einen großen Teil von Kleinasien einschloss (heute die Türkei). Armenier lebten unter ottomanischer Herrschaft bis zum armenischen Völkermord von 1915-17, in dem mindestens 1.5 Millionen Armenier umgebracht wurden und der Rest der Bevölkerung über die ganze Welt verteilt wurde. Als Resultat dieser Diaspora leben heute mehr Menschen mit armenischem Erbe ausserhalb von Armenien als im Land Armenien selbst, das vergleichsweise klein ist, mit etwa derselben Landmasse wie Wales. Daher kommen Tänze, die wir als 'armenisch' kennen, oft aus armenischen Gemeinschaften in den USA, Frankreich, West Armenien (heute die Türkei), oder der armenischen Republik.
Mein Traum war eine Reise nach Armenien, aber in den 90er Jahren war das sehr schwierig. Armenien war Teil der Sowjetunion, und nach der Unabhängigkeit in den frühen 90ern litt das Land sehr unter dem Zusammenbruch von Infrastruktur, Industrie und Rentensystem. Zusätzlich waren von einem starken Erdbeben im Jahr 1988 in Nordarmenien fast alle Bürger des Landes betroffen. Im Jahr 2005 war es mir dann endlich möglich, zum ersten Mal nach Armenien zu reisen. Nach einer langen Reise kam ich am frühen Morgen in Yerevan an, als es gerade hell wurde. Als ich aus dem Fenster sah, hatte ich so ein starkes Gefühl des nach Hause kommens, dass ich wusste, ich war genau am richtigen Ort. Auf der Weiterreise aus der Hauptstadt wurde dieses Gefühl stärker, und in Yeghegnadzor, einer kleinen Stadt im Süden auf einem Hügel mit Blick auf den Berg Ararat am Horizont, wusste ich, dass dies mein Platz war. Von da an reiste ich regelmässig nach Armenien und Yeghegnadzor und schloss viele Freundschaften in der Stadt. Mit der Zeit begann ich auch, auf meine Besuche kleine Tanzgruppen mitzunehmen.
Inzwischen hatte ich mich zu Hause in Großbrittannien mit Hasmik angefreundet, einer jungen Armenierin, die auf ein Jahr in meiner Gegend war, und mit Haniel, einer Frau mit armenischen Wurzeln, die mich zur Gründung einer armenischen Tanzgruppe ermutigte: im Jahr 2007 entstand ‘Kilikia dances for Armenia’. Unser Ziel war es, durch das Medium Tanz die Geschichte Armeniens zu erzählen und Geld zu sammeln für verschiedene Projekte, darunter Hasmiks Centaur Projekt, das Unterstützung für Kinder mit Behinderungen und ihre Familien mit einem Tierheim verbindet, und Projekte in Yeghegnadzor. Mit der Zeit ist Kilikia auf über 20 Personen angewachsen, mit über hundert Kostümen und einem vollen Programm von Präsentationen und Veranstaltungen.
Gleichzeitig fand in Armenien eine Tanzrevolution statt. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems konzentrierten sich die Menschen aufs Überleben, staatliche Förderung für die Künste gab es nicht mehr, und Tanz- und Musikkurse nahmen ab. Dann, im Jahr 2005, begann Gagik Ginosyan, den armenischen Tanz vor dem Untergang zu retten. Mit seinem Karin Tanzensemble startete Gagik Open Air Kurse, am Freitagabend im Zentrum von Yerevan: stellt euch eine Reihe riesiger Verstärker vor, wie bei einem Musikfestival, und einen Kreis nach dem anderen mit jungen Tänzern, jeder mit einem Mitglied von Karin in traditioneller Tracht in der Mitte, um die Tänze zu unterrichten. Gagik machte traditionellen Tanz ‘trendy’ und erfüllte eine ganze neue Generation Armenier mit Stolz auf ihr künstlerisches Erbe. Durch das Projekt ‘Unsere Tänze und wir’ gelang es Gagik, traditionellen Tanz in das Curriculum jeder Schule in Armenien aufzunehmen, so dass alle jungen Leute in Armenien tanzen lernen.
Gagik begann auch mit der Erforschung der alten ‘verschwundenen’ Tänze, von denen viele auf vorchristliche Zeit zurückgehen und deutlich sehr alt sind. Einige dieser Tänze sind die Vorläufer des Tanzes, den wir als Daroni oder Gorani kennen, den ersten armenischen Tanz, den ich vor fast 30 Jahren gelernt habe. Das bekannte choreografierte Arrangement von Gorani stammt von einem traditionellen armenischen Tanz mit vielen alten Variationen, darunter ein Wassergorani, in dem die Tänzer Wasserschalen weitergeben und die Haupttänzerin mit einer davon auf dem Kopf tanzt. Dieser Tanz hatte mit Trockenzeiten zu tun und war eine Form des Gebetes um Regen. Einen anderen wiedergeborenen Tanz kennen wir als den ‘Muttergöttin’-Tanz, der das göttliche Weibliche feiert. Gagik hat auch acht Tänze wiederbelebt, die von Pater Komitas, dem armenischen Priester und Ethnomusicografen, zwischen 1899 und 1910 aufgezeichnet wurden, darunter Komitasi Shoror. Alle dieser ‘verlorenen’ Tänze kommen aus Westarmenien, dem Teil des historischen Armeniens in Kleinasien, der heute die Türkei ist. Es ist interessant, dass diese alten Tänze von Männern und Frauen gemeinsam im Kreis getanzt wurden, mit den Frauen deutlich in gleichberechtigter Position. Es gibt auch Frauentänze wie Madzune Bar, ein schöner und beliebter Tanz, der von den Frauen beim Herstellen von Yoghurt getanzt wurden.
Während die traditionellen Tänze in Armenien ein Comeback erleben, sind die armenischen lyrischen Tänze mit ihren komplexeren Choreografien und ihrem formelleren, vom Ballett beeinflussten Stil weniger populär, obwohl Paylak Sargsyan, der ‘König’ des Genre, weiterhin diese wunderschönen Tänze zu der exquisiten Musik berühmter armenischer Komponisten wie Khatchatour Avetissian setzt. [Laura fügt hinzu: natürlich ist auch Shakeh Major Tchilingirian, die armenische Tänzerin und Lehrerin in London, die auch oft in Deutschland unterrichtet, eine wichtige Quelle der armenischen lyrischen Tänze: inspirierte Arrangements traditioneller Bewegungen in Kreisform, die jetzt zu den beliebten Tänzen in unserem Repertoire gehören.]
Als ich versuchte, mehr über die Reste des armenischen Erbes in der heutigen Türkei herauszufinden, freundete ich mich an mit Ahmet Demirbag, Professor für Traditionellen Tanz und Musik an der Universität von Istanbul. Ahmet hat ein Netzwerk von traditionellen Tanzgruppen in der gesamten Türkei entwickelt, und reist regelmässig, um Tanzgruppen verschiedener Regionen und ethnischer Gruppen im ganzen Land aufzuzeichnen. Gemeinsam mit Ahmet habe ich viele Tanzreisen in verschiedene Regionen der Türkei organisiert, um die Tanztraditionen in Kleinasien besser zu verstehen. Da Gemeinschaften mit unterschiedlichem ethnischem und religiösem Hintergrund über viele Jahre in Kleinasien gemeinsam existierten, werden die Tanztraditionen in großem Masse miteinander geteilt. Es ist oft schwer, Tänze nach ethnischen Linien zu unterscheiden, und eigentlich nur geografisch möglich.
So kann ich also wirklich sagen, dass dreissig Jahre nach dem Lernen meines ersten armenischen Tanzes dieses Ereignis mein Leben verändert hat. Auf meiner Reise des Lernens über armenischen Tanz und armenische Kultur habe ich viele Freunde gewonnen und hatte wunderbare Erlebnisse in Armenien und Kleinasien. Durch den Tanz haben sich Türen geöffnet in Freundschaft, Großzügigkeit und Vertrauen. Ich hoffe, dass es mir meinerseits durch meine Bemühungen gelingt, ein wenig von der Geschichte Armeniens zu erzählen, und dass durch das Teilen meines inzwischen reichen und vielfältigenen Repertoires armenischer Tänze vielleicht andere sich in Armenien verlieben können, nur ein bisschen, so wie ich vor all diesen Jahren.
28th Findhorn Festival of Sacred Dance, Music, and Song: July 4-10 2020, with guest teacher Chrisandra Harris sharing Dances of the Silk Road, plus Peter Vallance, Barbara Swetina, Susanne Anders Bartholomaei, Laura Shannon, choir and orchestra with Sheila Pettit and Bill Henderson, and musicians Kostantis Kourmadias, Nikolas Angelopoulos, Maya Buckley, Michael Machin and friends.
28. Findhorn Festival of Sacred Dance, Music, and Song: 4.-10. Juli 2020, mit Gastlehrerin Chrisandra Harris, die Kreistänze der Seidenstraße teilt, sowie Peter Vallance, Barbara Swetina, Susanne Anders Bartholomaei, Laura Shannon und Musiker Kostantis Kourmadias, Nikolas Angelopoulos, Maya Buckley und Michael Machin, Chor und Orchester mit Sheila Pettit und Bill Henderson.